Schiffssimulatoren haben es schwer. Während sich Flug- und LKW-Simulationen einer großen Fangemeinde erfreuen, dümpeln maritime Simulationen meist am Rand des Genres dahin. Umso größer war die Vorfreude auf Seafarer: Schiffssimulator, das schon lange vor seinem Early-Access-Start in der Community Wellen schlug. Die Hoffnung: Endlich wieder ein Spiel, das die Faszination der Schifffahrt authentisch, technisch anspruchsvoll und mit Liebe zum Detail umsetzt. Nach ein paar Stunden an Bord lässt sich sagen: Seafarer ist ein vielversprechender Kurs in die richtige Richtung – mit Stärken, Schwächen und enormem Potenzial.
Ein stimmungsvoller Auftakt – aber nicht ohne kleine Wellen
Der Einstieg gelingt atmosphärisch: Nachdem wir unseren Charakter aus einer kleinen, aber ansehnlichen Auswahl gestalten dürfen, begrüßt uns das Spiel mit einem cineastischen Intro. Die Musik ist hervorragend abgestimmt, das Ambiente stimmt, und sofort kommt das Gefühl auf, sich auf ein echtes Abenteuer auf See einzulassen.
Zwei Dinge trüben diesen ersten Eindruck allerdings ein wenig: Zum einen wirkt der häufige Fokuswechsel mit Unschärfeeffekten etwas übertrieben, zum anderen laufen die Zwischensequenzen nicht in voller 3440×1440-Auflösung, obwohl das restliche Spiel Ultrawide tadellos unterstützt. Es sind keine Dealbreaker, aber kleine Stolpersteine, die die sonst stimmige Präsentation leicht dämpfen.
Erste Schritte auf See – Das Tutorial mit Tiefgang
Nach dem Intro stehen wir auf unserem ersten Schiff: einem kleinen Schlepper. Hier beginnt das Tutorial, das uns behutsam an die Grundlagen des Spiels heranführt. Besonders beeindruckend ist die Steuerung der sogenannten Azi-Pods, also drehbarer Antriebsgondeln, die sowohl als Propeller als auch als Ruder fungieren. Die Umsetzung fühlt sich realistisch an und vermittelt, wie komplex und feinfühlig moderne Schiffssteuerung sein kann. Nach erfolgreichem Anlegen eines Containerschiffs und einem kurzen Zwischenstopp im Heimathafen öffnet sich das Spiel endgültig – und der Alltag eines Seefahrers beginnt.
Zu Beginn müssen wir uns für eine Fraktion entscheiden. Zur Auswahl stehen verschiedene maritime Zweige: die Küstenwache oder Frachtfahrer. Jede Fraktion bringt eigene Aufgaben, Fahrzeuge und Spielstile mit sich. Während die Küstenwache Schiffsüberwachung übernimmt und Sicherheit gewährleistet, sind die Frachtschiffer mit Containern unterwegs. Die Feuerwehr ist dagegen bei Notfällen gefragt – etwa bei Bränden auf See oder im Hafen.
Das System ist clever, denn es sorgt für Abwechslung und unterschiedliche Herangehensweisen. Außerdem ist es möglich, auch Aufträge der jeweils anderen Fraktionen zu übernehmen, was langfristig für Vielfalt sorgt. Am Anfang stehen nur kleinere Boote oder Frachtschiffe zur Verfügung, doch mit wachsendem Kapital lassen sich weitere Schiffe freischalten / kaufen. Aktuell stehen nur sechs Schiffe zur Auswahl.
Detailverliebte Schiffe – Mit Herz und Hand gebaut
Die größte Stärke von Seafarer liegt zweifellos in der Gestaltung seiner Schiffe. Jedes Modell wirkt liebevoll konstruiert, mit realistischer Linienführung, funktionierenden Bedienelementen und teilweise begehbaren Innenräumen. Man merkt, dass hier Enthusiasten am Werk waren, die echte maritime Leidenschaft verspüren. Besonders beeindruckend: Die Maschinenräume und Brücken sind keine leeren Kulissen, sondern Teil des Spielgefühls.
Trotzdem bleibt Raum für Wünsche. Gerade im Multiplayer – der laut Roadmap noch kommen soll – wären kleine Interaktionsmöglichkeiten wie nutzbare Sitzplätze, begehbare Kabinen oder Schlafplätze in der Messe ein echter Mehrwert für das „Crew-Gefühl“.
Technik und Steuerung – Realismus trifft Komfort
In Sachen Steuerung zeigt Seafarer Licht und Schatten. Das Fahrverhalten der Schiffe ist hervorragend gelungen: Die Schiffe scheinen sich von Wellen und Strömungen beeinflussen zu lassen. Es kann also schon dazu führen, dass man oft kleine Kurskorrekturen durchführen muss. Hier glänzt die Simulation mit physikalischer Tiefe und Liebe zum Realismus.
Etwas unglücklich ist dagegen die Umsetzung der Azi-Pod-Steuerung bei größeren Schiffen. Statt spezialisierter Steuerelemente nutzt das Spiel oft ein klassisches Ruder, was zwar funktioniert, aber nicht den vollen Realismus abbildet. Auch die fehlende Geschwindigkeitsanzeige außerhalb des HUDs fällt auf – besonders für Spieler, die ohne Interface für maximale Immersion spielen möchten.
Auf der Brücke fehlen zudem einige Instrumente, etwa ein Maschinen-Monitoring oder detaillierte Systemanzeigen. Für Gelegenheitsspieler kaum relevant, für Sim-Enthusiasten aber ein kleiner Wermutstropfen.
Ein echter Pluspunkt ist das integrierte Tablet-System, das als zentrale Verwaltungsplattform dient. Hier lassen sich Missionen annehmen, Nachrichten lesen, Crew-Mitglieder anheuern oder Schiffe warten. Auch Finanzen und Treibstoffmanagement laufen über dieses Gerät. Die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, Reparaturen zu planen oder Maschinenersatzteile zu bestellen, verleiht dem Spiel zusätzliche Tiefe.
Aktuell können ein Offizier und ein Maschinist angeheuert werden, deren Funktionen noch nicht vollständig umgesetzt oder uns noch nicht bekannt sind. Doch schon jetzt deutet sich an, wie komplex das System in Zukunft werden könnte – insbesondere, wenn später ein Online-Koop-Modus und erweiterte Crew-Mechaniken hinzukommen.
Performance, Atmosphäre und Spielgefühl
Grafisch präsentiert sich Seafarer solide. Die Wasserphysik ist beeindruckend, die Lichtstimmung wechselt je nach Tageszeit dynamisch, und besonders in den Häfen kommt echtes Seefahrer-Feeling auf. Allerdings sind in größeren Städten noch Performance-Einbrüche zu spüren – typisch für Early Access, aber kein Grund zur Sorge. Die Entwickler zeigen bereits, dass sie auf Feedback reagieren und regelmäßig Optimierungen nachschieben.
Was das Spiel besonders auszeichnet, ist sein entschleunigendes, fast meditatives Spielgefühl. Während man langsam durch die Wellen pflügt, das Dröhnen der Maschinen hört und den Horizont beobachtet, entsteht ein fast schon therapeutischer Effekt – ganz im Gegensatz zu hektischen Actionspielen. Gleichzeitig sorgen unvorhergesehene Motorprobleme oder anspruchsvolle Hafenmanöver für Spannung und Abwechslung.
Ein Blick in die Zukunft – Die Roadmap macht Hoffnung
Ein Blick auf die offizielle Roadmap zeigt, dass die Reise hier erst beginnt. Für Q4 2025 sind drei neue Schiffe, Massengutfrachter-Gameplay und LNG-Transporte geplant. Im Q1 2026 sollen zwei weitere Schiffe, Rettungsmissionen, ein neuer Hafen sowie zahlreiche Verbesserungen folgen. Danach ist von neuen Fraktionen, einem Online-Koop-Modus und Kartenerweiterungen die Rede – eine Aussicht, die das Herz jedes Simulationsfans höherschlagen lässt.
Seafarer: The Ship Sim ist kein perfektes Spiel – aber es ist das authentischste und ambitionierteste, das das Genre seit Jahren gesehen hat. Mit realistischer Steuerung, atmosphärischem Sounddesign und viel Liebe zum Detail hebt es sich deutlich von früheren Versuchen ab. Die Technik ist solide, die Roadmap vielversprechend, und das Fundament steht fest im Wasser. Wer ein ruhiges, aber forderndes Simulationserlebnis sucht, wird hier fündig. Seafarer ist entschleunigend, herausfordernd und liebevoll gestaltet – ein Spiel, das man nicht einfach spielt, sondern erlebt. Mit weiteren Updates könnte daraus der Referenztitel für Schiffssimulationen werden.









